Mittwoch, 25. Mai 2011

Warum die CDU Stuttgart auf Jahrzehnte verloren hat

Als Einstieg eine äußerst interessante Kolumne von Joe Bauer in den "Stuttgarter Nachrichten":
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.joe-bauer-in-der-stadt-lebensgefuehl-getroffen.0c0f6dcd-23c3-4294-8886-c118681a2da4.html

Hier hat Joe Bauer sicher den Nerv hunderttausender Stuttgarter getroffen.
Es darf als sicher erachtet werden, dass die CDU-Herrschaft in Stuttgart bei den kommenden Oberbürgermeisterwahlen beendet sein wird. Ohnehin war die gesamte Regentschaft von Wolfgang Schuster (seit 1997) nur möglich, weil SPD und Grüne sich im jeweils zweiten Wahlgang nicht auf einen Kandidaten einigen konnten. Mit Rückenwind durch die Landtagswahl wird dies 2012 wohl anders sein.

Der Protest gegen Stuttgart 21 hat viele Menschen wachgerüttelt und für eine Stimmung gesorgt, in der die Haudrauf-Politik der CDU keinen Platz mehr hat. Es ist ein politisches Gefühl abseits des Rathauses und der Parteipolitik entstanden, die den Hauptgegner CDU 2012 hinwegfegen wird - diese Stimmung, die schon bei der Kommunalwahl 2009 und der BaWü-Wahl 2011 in politischen Willen umschlug, wird sich nächstes Jahr auch in den politischen Institutionen der Landeshauptstadt wiederfinden.

Stuttgart 21 ist der Totengräber der Stuttgarter CDU

Die CDU hat sich mit Stuttgart 21 verhoben und die Leidensfähigkeit der Stuttgarter Bürger überschätzt.
Jahrzehntelang konnte sie in Stuttgart machen was sie wollte und dokterte wild am Stadtbild herum. Ein jahrhundertealtes Haus nach dem anderen wurde abgerissen und durch zahllose Stahlkästen ersetzt, in denen vor allem Büros entstehen sollten. Gewehrt hat man sich dagegen nicht, schließlich ging es einem ja grundsätzlich ganz gut in der Schwabenmetropole. Dennoch fällt natürlich jedem auf, dass an beinahe jedem Bürogebäude Banner mit der Aufschrift "x qm Bürofläche zu vermieten, provisionsfrei" angebracht sind.

Wenn ich aus meinem Balkon in der Nordbahnhofstraße in die Gegend schaue, fällt mein Blick auf den schnieken Bülow-Tower. Vor 2 Tagen stand ich mit einem Kumpel da und trank Bier. Er erzählte mir, dass da jetzt ein Kindergarten untergebracht sei, weil sich keine Mieter für Büros fänden. Nicht, dass ich was gegen Kindergärten hätte, im Gegenteil, wir brauchen viel mehr davon. Aber wären die nicht in anderen Gebäuden besser aufgehoben? Kindergärten als Notnagel im zentral gelegenen Bülow-Tower... das zeigt wenigstens klar, was wir wirklich brauchen und was unser wahres Kapital ist.
Trotz hunderttausender Quadratmeter freier Büroflächen machte man jedoch weiter...

Alternative Kultureinrichtungen und Menschen, die nicht ins CDU-Menschenbild passen, hatten es in Stuttgart auch nie leicht, dabei war diese Seite Stuttgarts stets lebendig, musste aber gleichzeitig ums Überleben kämpfen. Die Wagenhallen sind ein aktuelles Beispiel, die Röhre als vorerst letztes Opfer ebenfalls. Nicht zu vergessen sind viele alternative Treffs in den 90ern (OBW9, Benzbar, Radio Bar) und die lebhafte HipHop-Szene, die Stuttgart jahrelang das Label "Bundeshauptstadt für HipHop" verlieh.

Leben entsteht dort, wo man die Menschen leben lässt

Dort, wo die CDU und Immobilienhaie eingreifen konnten, wächst heute kein Gras mehr. Der Teil des neuen Europaviertels, der schon exisitiert, ist eine tote Stadt. Überall dort, wo die Prachtbauten der letzten 20 Jahre stehen, treibt sich kaum ein Mensch herum. Sogar in und um die "Bausünden der 60er und 70er" ist mehr Leben.
Überall dort, wo man die Menschen ihr Ding durchziehen lässt, finden sich auch Anhänger. Der Westen und Süden Stuttgarts sowie Teile von Stuttgart-Nord werden immer mehr Leben haben als das neue Europaviertel. Sogar die Möchtegern-Schicki-Mickis haben sich die Theodor-Heuss-Straße erkämpft - Discos in Feuerbach, die so groß sind wie Schiffswerften und aussehen wie Raumstationen werden gemieden.

Warum Stuttgart 21 gut ist für Stuttgart

Dass diese toten Städte existieren, ist wahrlich kein Geheimnis mehr. Die Hoffnung der Projektbefüworter, an einer so zentralen Stelle wie im Europaviertel würde das Ergebnis anders aussehen, teilte offenbar nicht jeder. Im Gegenteil, die Stimmung explodierte und die größte Massenbewegung in der Geschichte der Stadt entstand, weil all die Fehler der vergangenen Jahre nun auf die Spitze gestrieben wurden. Eine Bewegung entstand, die irgendwann auf Augenhöhe den Institutionen begegnete.

Ja, ich bin froh, dass es ein Projekt wie Stuttgart 21 gibt. Weil es die Menschen zusammengebracht hat. Weil es sie kämpfen ließ. Weil es das Ventil für all den Frust war, der sich in Jahrzehnten angestaut hat. Weil sich die gesamte Stadt dadurch verändert hat. Weil die Menschen jetzt bereit sind, sich ihre Stadt zurückzuerkämpfen. Weil Stuttgart 21 das Ende der CDU-Herrschaft in Stuttgart und Baden-Württemberg bedeutet.
Wir alle werden Zeugen, alle, die möchten, werden Mitbereiter einer Zeitenwende. In Zukunft wird nicht mehr das Geflecht aus CDU und Spekaulanten über das Stadtbild entscheiden, sondern die Menschen selbst.
Die CDU wird die Stadt erst dann irgendwann einmal wieder regieren können, wenn sie all das eingesehen hat - und dann wieder viele Jahre um das Vertrauen der Menschen gekämpft hat.

Und wir? Wir sollten uns auf die neue Zeit freuen, Rückschläge verkraften und tatkräftig dabei helfen, diese Stadt weiter zu verändern.



1 Kommentar:

  1. Moin,

    schön das Ganze aus der Sicht eines "echten" Stuttgarter zu lesen. Meine Meinung war bisher hauptsächlich geprägt durch die Medien und Facebook. Für die eigentliche Erfragung der Basis ist "Benz-Town" einfach zu weit weg von Hamburg. So habe ich viele Bilder gesehen, Filme auf YouTube gesehen und Berichte gelesen. In der heutigen Zeit ist schwer, zu unterscheiden was ist jetzt eigene Meinung des Autors. Was ist jetzt wirklich passiert...? Was ich auf jeden Fall begrüße, ist die Tatsache, das der Süden mittlerweile nicht einfach alles hinnimmt. Demonstrationen waren und sind (vor allem in Bayern) sind selten.

    Das mit den Luxusvierteln die einfach keinen Reiz versprühen, ist ein Problem in ganz Deutschland. Jede Stadt baut sein Zentrum mit Eigentumswohnungen zu, die sich ein normaler Durchschnittsverdiener nicht mehr leisten kann. Bsp: City-Park Karlsruhe, Hafen-City Hamburg, usw.

    Als ich das mit leer stehendem Büroraum las, erinnerte mich das auch sehr stark, an Hamburg. Anstatt bitter benötigter Wohnraum der bezahlbar ist, werden lieber Büros gebaut. Hier wird aktuell "geträumt" (unrealistisch, da die Immobilienbesitzer auch mit Leerstand Geld machen. Steuerlich.) eine Regelung zu finden, das es "legal" wird diese zum Wohnraum zu besetzen. Allein in der City sind 290.000 Quadratmeter leer stehend (Stand: Juli 2010) und trotzdem wird fleißig weiter gebaut.

    Liebe Grüße

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