Mittwoch, 5. Oktober 2011

Geschenke, Abendessen, Flugreisen: Wie die Pharmaindustrie Ärzte korrumpiert. Ein Gespräch

Der in Hennigsdorf praktizierende Facharzt für Innere Medizin, Thomas Lindner, ist Mitglied beim pharmakritischen Netzwerk Mezis. Mit dem 62-Jährigen sprach Sebastian Meyer.

MAZ: Sie wenden sich gegen die Manipulation von Ärzten durch die Pharmaindustrie. Wie wird genau beeinflusst?

Thomas Lindner: Zunächst werden die Ärzte teilweise mehrfach täglich von verschiedenen Vertretern der Industrie besucht, die den Auftrag haben, ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Das sind meist sehr sympathische, junge Menschen, wohlriechend und mit kleinem Koffer dabei. Die zeigen den Ärzten dann Hochglanzbroschüren, in denen steht, wie toll ihr Medikament wirkt.

Was ist daran so schlecht?

Lindner: Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein hochpreisiges Küchengerät kaufen. Da gehen Sie ja auch nicht zu Miele und erkundigen sich, ob Miele-Produkte die besten sind, sondern Sie würden bei einer unabhängigen Stelle wie der Stiftung Warentest nachsehen. Viel wichtiger wäre es, dass auch Ärzte sich grundsätzlich unabhängig informieren und sich das Verordnen von Medikamenten nicht von der Industrie aufs Rezept diktieren lassen.

Was unternimmt die Pharmaindustrie noch?

Lindner: Es gab von der Industrie gesponserte Computerprogramme, bei denen – ähnlich wie bei einer Google-Suche – bestimmte Medikamente weiter oben auftauchen. Oder eher harmlose Dinge, wie Berater, die Kugelschreiber mit Aufschriften oder Büromaterialien mitbringen. Das geht dann aber auch so weit, dass man zum Essen eingeladen wird oder zu Weihnachten mal eine gute Flasche Wein bekommt. Dann gibt es auch dreistere Dinge, wobei man sagen muss, dass das in den letzten Jahren weniger geworden ist. Mir wurden schon Flugreisen inklusive Hotel zu Kongressen angeboten. Da hätte ich dann ein Wochenende in München verbringen können. Und weil ich ja zeitlich so „arg belastet war“, galt die kostenfreie Einladung auch gleich für meine Frau.

Was gab es noch für Sie?

Lindner: Einmal hat mir eine junge Dame Blumen mitgebracht. Da habe ich als älterer Mann erst mal gedacht, dass ich bevorzugt behandelt werde und die Frau mich sympathisch findet. Später habe ich dann in einem Lehrbuch für Pharmaberater gelesen, dass man Ärzten, die keine Geschenke entgegennehmen wollen, einfach mal Blumen schenken soll. Und schon ist die Basis für ein gutes Verkaufsgespräch geschaffen.

Sie sagen, dass Ärzte durch die Annahme solcher Geschenke korrumpiert werden. Woran machen Sie das fest?

Lindner: Es ist unwahrscheinlich, dass die großen Pharmakonzerne Geld für Werbemaßnahmen ausgeben, die nichts bringen. Es ist nachgewiesen, dass Ärzte, die von der Pharmaindustrie beeinflusst werden, anders verordnen als Ärzte, die sich weniger beeinflussen lassen. Das heißt, sie nehmen häufiger neue, unerprobte Medikamente, die für Patienten immer ein gewisses Risiko darstellen. Und sie verschreiben hochpreisiger.

Haben Sie ein Beispiel?

Lindner: Es gibt ein neues Mittel gegen Bluthochdruck, Rasilez. Es ist nicht nachgewiesen, dass es besser ist als bewährte Medikamente, dafür aber sechs- bis siebenmal so teuer. Viele Ärzte verschreiben es trotzdem. Warum machen sie das? Ich denke, da haben sie wohl Besuch von einem Pharmaberater bekommen.

Das heißt, die Kosten des Gesundheitssystems werden dadurch aufgeblasen.

Lindner: Ja. Es heißt immer, wir werden älter und benötigen mehr Medizin, und das treibe die Kosten an. Dass aber durch unangemessene medikamentöse Therapien die Kosten ebenso unnötig in die Höhe getrieben werden, darüber redet man seltener.

Woran kann ein Patient feststellen, ob sein Arzt unabhängig ist?

Lindner: Das ist sehr heikel. Als Patient sucht man ja im Arzt eine Vertrauensperson. Deswegen ist es umso kritikwürdiger, wenn er besondere wirtschaftliche Interessen in diese Beziehung mit hineinbringt. Man erkennt es aber am Wartezimmer, an den Kalendern, Broschüren oder den zahlreichen Pharma-Kugelschreibern des Praxispersonals. Das sieht so ein bisschen aus wie in der Formel 1, wo einem alles entgegenblinkt. Und man kann eine Beeinflussung vermuten, wenn ein Arzt Medikamente aus seinem Schrank holt – als kleine Gratis- Probepackung.

Er fixt den Patienten also an?

Lindner: Ja, so würde man das in der Suchtbehandlung sagen. Und wenn die Probepackung leer ist, dann muss sich der Patient das meist teure Medikament in der großen Packung aus der Apotheke holen – und das hat dann seine Krankenkasse zu bezahlen.

Was sagen die Kollegen eigentlich zu Mezis?

Lindner: Es gibt ganz schön Gegenwind. Ein Kollege hat mich gefragt, ob ich zu blöde wäre, nicht selber zu entscheiden, was auf mein Rezept kommt. Er könne das.

Lässt sich ein Großteil der Ärzte also korrumpieren?

Lindner: Ja, man sollte das in vielen Fällen so nennen. Stellen Sie sich vor, Sie stellen einen Bauantrag, bei dem nicht sicher ist, ob er genehmigt wird. Am Abend vor der Entscheidung laden Sie die gesamte Behörde zum Essen ein – natürlich, ohne über ihr Bauvorhaben zu reden. Am nächsten Tag wird positiv über den Antrag entschieden. Angenommen, das würde publik: Was würde die Bevölkerung wohl sagen? Ich glaube, vom gesunden Menschenverstand ordnet man das richtig ein. Nur wir Ärzte nehmen mit vollen Händen die Wohltaten der Industrie an und behaupten hinterher, es war nichts gewesen.

Was hat sich für Sie geändert, seitdem Sie bei Mezis sind?

Lindner: Ich habe mehr Zeit für meine Patienten und muss selber für meine Fortbildungen zahlen.

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Quelle: Märkische Allgemeine vom 12.08.2011
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12149434/61129/Geschenke-Abendessen-Flugreisen-Wie-die-Pharmaindustrie-Aerzte-korrumpiert.html

Mezis - Initiative unbestechlicher Ärzte und Ärztinnen
http://www.mezis.de/

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